Pa.027 Evangelisches Sozialheim "Sonneblick" Walzenhausen inklusive Hilfswerk für die Arbeitslosen, 1933-2021.05 (Bestand)

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Ref. code:Pa.027
Ref. code AP:Pa.027
Title:Evangelisches Sozialheim "Sonneblick" Walzenhausen inklusive Hilfswerk für die Arbeitslosen
Creation date(s):1933 - 5/2021
Creation date(s), scattered dates:after 1876
Creation date(s), remarks.:Streudaten zur Liegenschaft
Level:Bestand

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Extent:4 Lfm

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Name of the creator / provenance:Stiftung Sonneblick Walzenhausen
Frühere Bezeichnung:Evangelisches Sozialheim Sonneblick
Leitung:Heimleitung:
1933 – 1934 Jakob Signer und Schwester Luise Röschli
1934 – 1936 Jakob Signer und Rosa Aemisegger
1935 – 1941 Pfarrer Luzius und Agathe Salzgeber-Gredig, Kursleiter und Hauseltern
1941 – 1946 Frieda Signer
1946 – 1953 Renée Braegger
1953 – 1982 Schwester Margrit Wanner
1982 – 1983 Irma und Markus Nänni
1983 – 1992 Ernst Eichenberger
1992 – 1994 Emilio Gamez
1995 – 1996 Christine und Christian Trüb
1997 – 2021 Adrian Keller

Präsidium Stiftungsrat:
1933 – 1968 Pfarrer Dr. h.c. Paul Vogt, Ehrenpräsident
1968 – 1980 Pfarrer Vittorio E. Arsuffi
1980 – 1983 Pfarrer Peter Eggenberger
1984 – 1985 Pfarrer Viktor Brunner, ad interim
1985 – 1992 Martha Preisig
1992 – 1994 Otto Graf
1994 – 1998 Markus Züst, ad interim
1998 – 2008 Ernst Graf
2008 – Fredi Züst
Administration history:Das 1933 gegründete Evangelische Sozialheim "Sonneblick" ging aus dem "Hilfswerk für die Arbeitslosen von Appenzell Ausserrhoden" hervor (Datierung, vgl. StAAR, Pa.027-01-05-05), das sich im August 1931 formell konstituierte. Anlass zur Gründung des Hilfswerks war die ab 1929 einsetzende Weltwirtschaftskrise, die auch in der Ostschweiz zu massiv steigenden Arbeitslosenzahlen führte. Jugendliche waren in besonderem Masse von diesem ökonomischen Abschwung betroffen. Das Personal des Arbeiterhilfswerks lässt sich vom Personal des "Sonneblicks" nicht klar abgrenzen, siehe dazu auch die Serie StAAR, Pa.027-01-02. Die tragenden Persönlichkeiten des "Sonneblicks" waren gemäss Kursleiter und Heimleiter Luzius Salzgeber in seinem Brief vom 25. Februar 1941 der Präsident Paul Vogt und die Schwestern Clara Nef und Sophie Moser-Nef (StAAR, Pa.027-10-01-04). Alle drei Personen waren in mehreren Organisationen tätig. Ein wichtiger Partner für die Arbeitslager war der Geschäftsführer der Schweizerischen Zentralstelle für Freiwilligen Arbeitsdienst in Zürich, Otto Zaugg. Sein Nachlass befindet sich im Archiv für Zeitgeschichte, ETH Zürich. Die Naturalspenden an die Arbeitslosen wurden mit der in Entstehung begriffenen schweizerischen Winterhilfe organisiert, zusammen mit den Frauenvereinen (Frauenzentrale und Frauenverein Teufen).

Das in einem ehemaligen "Stickerheimetli" eingerichtete Heim diente vorwiegend als Stützpunkt freiwilliger Arbeitsdienste. In den Jahren 1933 bis 1938 wurden durch zumeist jugendliche Teilnehmer zahlreiche Infrastrukturbauten ausgeführt. Noch heute dienliche Güterstrassen erinnern an diese Pionierzeit. So wurde 1936/1937 eine rund 1,6 km lange Strasse im Walzenhauser Nördli erstellt; "zu Beginn der Arbeit standen uns ungezählte Arbeitslose und ca. 10'000 Fr. an Geldern zur Verfügung", heisst es im entsprechenden Bericht von Lagerleiter und Pfarrer Luzius Salzgeber (1897-1974). Bereits in den Anfängen strahlte der "Sonneblick" über das Appenzellerland hinaus, das Programm vermittelte mehr als blosse Arbeitsbeschaffung. Ein religiös verwurzeltes sozialpolitisches Engagement gehörte dazu und machte den "Sonneblick" bisweilen unbequem. Kantonsweit grossen Wirbel erregte im Herbst 1936 eine in Speicher gehaltene Predigt Salzgebers mit Aussagen wie: "In Walzenhausen unterhalte man 32 Wirtschaften und für die Kinderschule habe man ein Loch" oder "für die Armee lege man 235 Millionen zusammen und für die Arbeitslosen gebe es keine halbe Million". So sah sich die Leitung des "Sonneblicks" dem Vorwurf ausgesetzt, sozialistische Ideen zu fördern (vgl. StAAR, Ca.C13-17-26-16).

Die Anfänge des Kinderheims Morgenlicht in Trogen stehen im Zusammenhang mit dem "Sonneblick". 1937 gründete Paul Vogt mit Karl Barth, Emil Gustav Friedrich Martin Niemöller und Helmut Gollwitzer das Schweizerische Evangelische Hilfswerk der Bekennenden Kirche Deutschlands. Das Engagement für jüdische Kinder war gemäss den Statuten von 1935 bereits möglich, die Zielgruppe bestand aus zum Christentum konvertierten Juden, welche in Deutschland gemäss Ariergesetz ebenfalls verfolgt wurden. Die Kinder von Niemöller gehörten gemäss Heinrich Rusterholz (siehe Literatur) zu den ersten Gästen. Während des Zweiten Weltkrieges wurde das Engagement breiter. Auffallend ist auch die Namensgebung: Nach der Gründung des "Sonneblicks" 1933 in Walzenhausen, entstand 1935 mit weitgehend den gleichen Personen im Vorstand das Kinderheim "Morgenlicht" in Trogen. "Im Kinderheim Morgenlicht haben wir Kinder von deutschen Bekenntnispfarrern aufgenommen. Ich möchte gerne alles tun, um solchen Kindern zu dienen." So eröffnete Pfarrer Vogt seinen engagierten Briefwechsel mit Karl Barth im Jahr 1937.

Über die Arbeit im "Sonneblick" wurde der Walzenhausener Pfarrer Paul Vogt (1900-1984) bald zur Anlaufstelle für Flüchtlinge aus dem Dritten Reich, denen er mit bescheidenen Mitteln zu helfen versuchte. Dies setzte sich auch fort nachdem Vogt im November 1936 an die Gemeinde Seebach in Zürich berufen wurde. Vogt war bekannt, dass sich bereits verschiedene Hilfswerke um die Not der Flüchtlinge kümmerten, darunter die bereits nach dem Ersten Weltkrieg gegründete Europäische Zentralstelle für kirchliche Hilfsaktionen, die als offizielles Hilfswerk der SEK fungierte. In diesem relativ dicht gespannten Netzwerk bestand eine Lücke, nämlich die Hilfe für Pfarrer der Bekennenden Kirche in Deutschland und deren Angehörige. Im Zentrum stand die Unterstützung der sogenannten "Juden-Christen". Vogt war 1936 in einem Kinderheim in Trogen drei Kindern des Berliner Pfarrers Niemöller begegnet, die sich dort zur Erholung aufhielten. Vogt wurde an Karl Barth verwiesen, der dessen Idee vorbehaltlos unterstützte. Bereits der erste Rundbrief an Pfarrer in der deutschsprachigen Schweiz im Mai 1937 wurde von einem Komitee unterzeichnet. Den dritten Rundbrief vom September 1937 zeichnete dann auch Barth, der dem Hilfswerk bis zu seiner Auflösung 1947 als treibende Kraft verbunden blieb. Paul Vogt predigte und schrieb spätestens seit 1942 unermüdlich gegen das "Virus des Antisemitismus". Im Verlauf der Jahre 1943/44 gründete er sogenannte Freiplatz-Heime für jüdische Flüchtlinge. Unmittelbar nach dem Krieg wurde Vogt für sein humanitäres Engagement gewürdigt. 1947 ernannnte ihn die Theologische Fakultät der Universtität Zürich zum Ehrendoktor. Danach geriet Paul Vogt etwas in Vergessenheit.

1934 schied Adolf Freudenberg aufgrund der jüdischen Abstammung seiner Frau aus dem öffentlichen Dienst aus und begann ein Jahr später, an der kirchlichen Hochschule Bethel der Bekennenden Kirche Theologie zu studieren. Er wurde durch den Dahlemer Bruderrat ordiniert. 1939 gelang ihm die Emigration, zunächst nach London, wo er an der Deutschen Lutherischen St. Georgskirche und ihrem Pfarrer Julius Rieger aufgenommen wurde. Der im Aufbau befindliche Ökumenische Rat der Kirchen betraute ihn mit der Betreuung der Flüchtlinge aus Deutschland und holte ihn im Sommer 1939 nach Genf, um das Flüchtlingshilfswerk des Rates aufzubauen. Hier wurde er auch wiederholt zum Gastgeber von Dietrich Bonhoeffer bei dessen konspirativen Reisen nach Genf während des Zweiten Weltkriegs. Nach dem Krieg gehörte Freudenberg zur ersten Delegation der Ökumene im Vorfeld des Stuttgarter Schuldbekenntnisses. 1947 kehrte er nach Deutschland zurück und wurde Pfarrer der Flüchtlingssiedlung Heilsberg in Bad Vilbel, an der evangelischen Heilig-Geist-Kirche. Von dort aus vermittelte er Kindern und Erwachsenen Erholungsaufenthalte im "Sonneblick". Seine Tochter heiratete den Theologen Helmut Gollwitzer.

Ab 1938 entwickelte sich das Sozialheim zu einer gesamtschweizerisch wichtigen Institution für Flüchtlinge und Kriegsopfer. Spannungsgeladen ging es insbesondere bei Kriegsende zu, als das kleine Stammhaus um einen kostspieligen Neubau ergänzt wurde. Der "Sonneblick" war Ort für eine grosse Zahl von Bildungsveranstaltungen und Gesprächskreisen. Weit über die Kriegsjahre hinaus prägten zwei ungewöhnliche und sehr unterschiedliche Frauen diese Friedensarbeit. Gertrud Kurz-Hohl, die in Lutzenberg aufgewachsene "Flüchtlingsmutter" und Sophie Apolant ‚ die sich aus Berlin in die Schweiz gerettet hatte. Beide blieben von 1940 bis zu ihrem Tod eng mit dem "Sonneblick" verbunden. Emigrierte der bekennenden Kirche Deutschlands kamen hier zusammen, Juden kamen mit Christen ins Gespräch. Franzosen und Algerier setzten sich an einen Tisch. Die Fremdenpolizeiregister der Weltkriegsjahre erinnern an prominente und unbekannte Gäste. Durch die vielfältigen Beiträge zur Friedensarbeit überwand man das beengende Klima der geistigen Landesverteidigung und so gewann der "Sonneblick" internationale Ausstrahlung.

Die jährlich wiederkehrenden Altersweihnachtswochen für Seniorinnen und Senioren aus dem Kanton Appenzell Ausserrhoden sind innerhalb der Institution geradezu legendär. Ihr leitender Kopf war die Herisauerin Clara Nef (1885-1983), die als Präsidentin der Ausserrhoder Frauenzentrale dieses Angebot initiierte und bis ins hohe Alter betreute. Daneben gab es im "Sonneblick" auch Alterswochen und Behindertenwochen für Einwohner aus dem Kanton St. Gallen. So wie die Frauenzentrale buchten das Blaue Kreuz, die Pro Juventute, die Sonntagsschullehrerinnenkurse und andere gemeinnützige Organisationen über Jahrzehnte hinweg Kurse im "Sonneblick". Sie bildeten ein wichtiges Umfeld für das seit 1959 als Stiftung organisierte Heim, das sich auf einen weiten Sympathisantenkreis abstützen konnte.

Von 1953 bis 1982 leiteten Diakonissen aus Braunwald das Heim. Als sich diese 1982 zurückzogen, stiegen die Lohnkosten in einem Jahr von 98'000 Fr. auf 276'000 Fr. an. Neben den zusätzlichen Ausgaben, wurden nun Ferien für Angestellte und Unterkünfte für die Heimleiterfamilie notwendig. Das Zeitalter der christlichen Selbstaufopferung ging im "Sonneblick" spät und jäh zu Ende. 1994 kam es sogar zur Schliessung des "Sonneblicks" Zwei Jahre nach der Wiedereröffnung 1995 als Haus der Erholung und Begegnung übernahm Adrian Keller die Hausleitung. Ein Schwerpunkt blieben Erholungsaufenthalte, nun auch für Alleinerziehende mit ihren Kindern. Nach Jahrzehnten als christliches Erholungsheim kehrten die Flüchtlinge zurück: 2021 eröffnete nach langen Rechtsstreitigkeiten das vom Kanton betriebene Asyl-Durchgangszentrum.

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Content:Dank der Überlieferung der Heimleiterin Renée Brägger wird ein Blick ins Innere der Institution möglich.

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Related material:Archiv für Zeitgeschichte Zürich, Nachlass Paul Vogt (AfZ, NL Paul Vogt).
Archiv RLA reformierte Landeskirche beider Appenzell in Trogen
StAAR, Nachlässe Clara Nef, Frauenzentrale, Winterhilfe und Blaues Kreuz.
StAAR, Pd.074 Kinderheim Morgenlicht Trogen
Publications:Clara Nef: Zum Dienst gefordert, die Geschichte des Evangelischen Sozialheims "Sonneblick" in Walzenhausen, mit einem Freundesbrief als Nachwort von Paul Vogt, Bern Blaukreuz-Verlag, 1970.
Witschi, Peter: Ein Haus mit Aus- und Weitsicht: «Sonnenblick» – ein Zufluchtsort für Arbeitslose, Flüchtlinge, Benachteiligte, in: Magnet, Jg. 91, Nr. 3, 2004, S. 4–6.
Willy Reifler: Ich wags, Gott vermags, 75 Jahre "Sonneblick" Walzenhausen, Herisau, Appenzeller Verlag, 2008.
Heinrich Rusterholz: Entscheide dich immer für die Liebe, Paul Vogt 1900-1984. Hrsg. Kirchlicher Informationsdienst Zürich.
Hermann Kocher: Rationierte Menschlichkeit. Schweizerischer Protestantismus im Spannungsfeld von Flüchtlingsnot und öffentlicher Flüchtlingspolitik der Schweiz 1933-1948. Zürich 1996.
 

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